Über alle Influencer und Medien hinweg hat es KI an die Spitze der Top-Technologietrends für 2023 geschafft. Insbesondere ChatGPT sorgte bereits für viel Aufregung. (Hier eine hilfreiche Einführung)

Eine der herausragenden Fähigkeiten von ChatGPT (Generative Pre-Trained Transformer) ist dabei die Erstellung von Texten aller Art. Der Influencer und Blogger Sascha Lobo hat dabei erstaunliche Erfahrungen gemacht und berichtet in seiner Spiegel Kolumne über das „Ende der irrelevanten künstlichen Intelligenz“, samt Beispiel für einen automatisch generierten Text.
Damit drängt sich für mich als Medienmenschen eine große Frage auf: Wie wird sie den Journalismus verändern? Der Beitrag von Tyler Cowen ist in dieser Hinsicht sehr lesenswert. Seine Perspektive als Journalist und Autor verbindet er mit seiner Ausbildung zum Ökonomen.
Ein paar Schlüsselzitate:
- „Ich denke, dass weniger Menschen meine Arbeit lesen werden. Dabei glaube ich jetzt nicht, dass die GPTs mich kopieren könnten, aber zumindest werden viele potenzielle Leser mit GPT herumspielen, anstatt andere Dinge zu tun, einschließlich meine Sachen zu lesen.“
- „Bekannte, etablierte Schriftsteller werden es lange genug „aussitzen“ können, sofern sie das wollen. Es gibt noch genug andere ältere Menschen, die sich noch um ihre Meinung kümmern, als bekannte Persönlichkeiten, und das wird sich nicht ändern, bis ein ganzer Generationswechsel stattgefunden hat. Ich nehme an, das stellt sich ganz anders für jemanden dar, der zwanzig Jahre alt ist …“
- „Heute werden diejenigen, die lernen, wie man GPT und verwandte Produkte verwendet, wesentlich produktiver sein. Sie werden integrierte kleine Teams leiten, um das nächste einflussreiche „große Ding“ im Lernen und auch in den Medien zu produzieren.“
Ein wesentlicher Punkt ist hier mMn der Generationswechsel in der Mediennutzung. Aufstrebende geschäftliche Entscheider (Alter 21-40) haben einen wachsenden Einfluss auf Unternehmensentscheidungen und sie greifen möglicherweise nicht zwingend zum WSJ oder Handelsblatt, um sich ihre Meinung zu bilden.
Was allerdings aus Tylers Sicht fehlt, ist der Aspekt der Personalisierung. Eine Zeitung wie die Financial Times produziert an einem durchschnittlichen Tag etwa 150 bis 200 Artikel. Durch die Reduzierung von Kosten und Produktionszeit werden zwar die Abläufe effizienter, erhalten jedoch in Summe nicht mehr Aufmerksamkeit seitens des Publikums.
Personalisierte Kuration und Lokalisierung haben jedoch eine hohe Chance, das Publikumsengagement zu steigern, was wiederum den wahrgenommenen Abonnementwert und die Werbeeinnahmen steigern kann. In diesem Szenario kann die KI, die einen Journalisten unterstützt, eher wie ein Koch in einem Michelin-Sterne-Restaurant zu sehen sein, der nicht selbst die Zwiebeln schneiden muss.
Aber bereits jetzt wird der Journalismus in vielen Märkten wegen seiner Voreingenommenheit kritisiert. Einiges davon zu automatisieren (Stichwort „automated bias“), könnte diese Debatte noch deutlich anheizen, was uns zum spannenden Themenfeld KI und Ethik führt.
Aber das wäre Stoff genug für einen eigenen Blogpost dazu.
Ein anderer interessanter Aspekt zum Thema KI im Journalismus kommt vom Medienanalysten Thomas Baekdal, der einen sehr interessanten Beitrag über den Einsatz von KI in Verlagen geschrieben hat.
Er vergleicht das Aufkommen der KI mit dem Aufkommen des Internets. Er erklärt: „Werbung war früher eines der beiden primären Geschäftsmodelle für Verlage, aber als die Online-Welt aufkam, haben wir die gesamte Branche einfach an Dritte übergeben … mit dem Ergebnis eines Anzeigenmodells, bei dem der größte Teil der Einnahmen an jemand anderen geht und bei dem die uns auferlegten Formate zu den am wenigsten effektiven Werbeformen auf dem Markt gehören. Werbung in Zeitungen ist zweitrangig geworden und für Marken nicht besonders interessant.
Seine Sorge für die Verleger ist, dass sie mit der Verlagerung auf Abonnements als wichtigstes Mediengeschäftsmodell Gefahr laufen, ihre Produktion durch den wahllosen Einsatz von KI zu kommerzialisieren, was zwar kurzfristige Gewinne bringen mag, aber mit der Zeit auch ihren wahrgenommenen Wert untergräbt. Laut Baekdal haben Menschen, die nicht für Nachrichten bezahlen wollen, oft das Gefühl, dass sie ähnliche Nachrichteninhalte in anderen Medien kostenlos erhalten können – oder sie erkennen deren Relevanz nicht.
Er schließt daraus: „Im Grunde genommen ist der Einsatz von KI, um einfach nur mehr Nachrichten zu produzieren, … nun ja … der effektivste Weg, sich selbst ins Knie zu schießen. Je mehr Sie und alle anderen Verlage sich darauf konzentrieren, desto weniger wertvoll wird der Journalismus. Nicht nur für Sie, sondern für die gesamte Branche. KI-Nachrichten, die sich über die Menge definieren, sind das Idiotischste, was wir je tun könnten.“
Genauso wie wir gesehen haben, dass KI Piloten oder Radiologen nicht ersetzt, sondern ergänzt, sieht Baekdal die Rolle des Journalisten viel umfassender als nur das Schreiben: „Hierher gehört der Journalismus, der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wird, der lösungsorientierte Journalismus, die investigativen Geschichten, die Unternehmen und politische Entscheidungsträger zu Veränderungen zwingen, der erklärende Journalismus, der den Menschen hilft, Dinge wirklich zu verstehen. Mit anderen Worten: Hier liegt der wahre Wert des Journalismus.
Es geht darum, einen Mehrwert für das Publikum zu schaffen, indem man einen differenzierten Standpunkt vertritt – und durch investigativen Journalismus, der darauf beruht, die richtigen Fragen zu stellen. Etwas, das KI nicht leisten kann.