Wer erinnert sich noch daran, als alles anfing? Als die ersten Blogs aufkamen, immer mehr Hauptwörter mit „2.0“ endeten und wir begannen, von sozialen Medien zu sprechen. Der Legende zufolge hatte das alles einen Anfang in der Formulierung eines Manifestes gehabt. Nur, was ist davon übergeblieben, von der hehren These eines Markts, der bald nur mehr von Konversationen bestimmt sein wird?
Der Autor Mike Proulx hat dazu einen guten Beitrag publiziert, den ich meinen Lesern hier gerne in deutscher Übersetzung wiedergebe.
Vor fünfzehn Jahren schufen die provozierenden Überlegungen von Levine, Locke, Searls und Weinberger mit der Veröffentlichung des „Cluetrain Manifesto“ und der ultimativen Erklärung des „end of business as usual“ die Voraussetzungen für eine große Ära des Social-Media-Marketings.
Märkte sind Gespräche?
Für einen kurzen Moment hatte man das Gefühl, dass Marken wirklich damit anfingen, mit Online-Communities in den Dialog zu treten, und tatsächlich von Mensch zu Mensch in Kontakt zu treten. Aber im Laufe der Jahre ist diese idealistische Vision nahezu bis zur Unkenntlichkeit erodiert. Es wird zunehmend irrelevanter Content gepostet und soziale Netzwerke müssen mehr und mehr Geld verdienen.
Nennen wir das Kind beim Namen: Social Media Marketing ist heute schlicht Werbung. Es ist weitgehend Mediaplanung und eine Übung um Sichtkontakte einzukaufen. Marken müssen bezahlen, wenn sie wirklich wollen, dass ihre Botschaft gesehen wird. Es ist das Gegenteil von Kontakt und Zuhören – es ist erneut das Senden von Werbeinhalten.
Dick Costolo von Twitter sagte kürzlich, dass mindestens einer von 20 Tweets eine Anzeige sein wird. Es ist auch nicht weiter ein Geheimnis, dass die organische Reichweite von Facebook inzwischen eine Herz-Lungen-Maschine benötigt. Und als Snapchat kürzlich Discover einführte, war vielen bereits nach dem ersten Hinsehen klar: „Das ist nicht Social Media“.
Das idealistische Ziel des „Ende des Business, wie wir es gewohnt sind“, wie es das Cluetrain Manifest postulierte, passierte nie. Wir sind diesem nicht einmal nahe gekommen. Nach einem kurzen vielversprechenden Ruck sind wir wieder sehr schnell zum Tagesgeschäft übergegangen. Die ausgerufene Revolution hat niemals stattgefunden.
Natürlich gab es beträchtliche Fortschritte in der Anzeigentechnik, in der Automatisierung der Medien, Optimierung, targeted advertising etc. Aber dass Märkte nun tatsächlich Konversationen geworden wären, würde wohl niemand behaupten wollen.
Aber sobald man diese Tatsachen akzeptiert, gibt es auch eine Reihe von Dingen die man als Vermarkter tun kann, um das Beste aus diesem „Nicht-wirklich-social“ Marketing zu machen. Hier sind fünf davon:
- Zahlen macht frei. Erinnern sie sich noch daran, als social media als „unpaid media“ bezeichnet wurden? Diese Zeiten sind vorbei. Marketing in sozialen Netzwerken erfordert auch eine entsprechende Allokierung ihres Mediabudgets. Fakt ist, dass sie mehr Geld in soziale Medien investieren müssen als sie es in der Vergangenheit haben.
- Spielen sie Blackjack. Im Gegensatz zu anderen Medienformen haben Social-Plattformen eine integrierte Feedbackschleife in Form von Likes, Kommentaren, Re-Tweets, Favoriten etc. Starten sie mit der Zuweisung kleiner Beiträge die sie gleichmäßig über promoted posts verteilen, um dann über die jeweiligen plattformabhängigen sozialen Interaktionssignale zu bestimmen, auf welche Inhalte sie ihre Wetten erhöhen. Machen sie ein „Double-Down“ auf die Top-Performer, in dem sie ihre „paid-media“ Budget entsprechend erhöhen. Sie können das als eine Art „Crowd-sourced-Mediaplanung“ verstehen. Die beliebtesten Beiträge sind eine sichere Wette, um mehr Publikum zu erreichen.
- Üben sie Zurückhaltung. Verfangen sie sich nicht im Posten und Buchen beliebiger und unverfänglicher Inhalte, weil es sich wie eine soziale Währung anfühlt. Die Wissenschaft der Markenstrategie sollte nicht einfach aus dem Fenster geworfen werden, nur weil sie jetzt etwas sofort veröffentlichen können. Bleiben sie ihrer Marke treu und posten sie nur, wenn sie etwas haben, was wirklich relevant und nützlich – was „shareworthy“ ist.
- Messen, worauf es ankommt. Während Engagement Metriken hilfreich sind, um populären content zu identifizieren, sollte der Erfolg von „paid media“ gegen spezifische Marketing-Ziele gemessen werden. So stellt beispielsweise die Erhöhung von Likes und Followers noch kein gutes Marketingziel dar. Um den tatsächlichen business impact zu messen bedarf es eines gründlichen Analyseansatzes, der über das hinaus geht, was soziale Plattformen normalerweise anbieten, einschließlich eines Attribution-Modeling, also der Zuordnung von Wirkungszusammenhängen.
- Zusammenhänge herstellen. Soziale Medien existieren nicht in einem Silo. Die Gewohnheiten von Verbrauchern sind inzwischen ein buntes Gemisch zwischen Geräten, Plattformen und Inhalten geworden. Dies gilt es gezielt auszunutzen und Marketingkampagnen bereits „cross-channel“ zu planen und die Verbindungen zwischen den einzelnen Kanälen bewusst herzustellen. Die promoted posts sollten daher idealerweise eine Verbindung zur übergeordneten Marketingstrategie herstellen und diese konnotieren und verstärken. Und die von ihnen erstellten Inhalte? Die sollten auf die jeweiligen Besonderheiten, Stärken und Nuancen der jeweiligen Social Plattform im Medien Mix abgestimmt sein.
Alle Medien sind heutzutage im Grunde auch soziale Medien oder werden mehr und mehr dazu. Und das dunkle Geheimnis dabei ist, dass sie im Grunde nicht sonderlich sozial sind. So what? Soziale Netzwerke sind inzwischen zu Massenmedien geworden und Marken müssen für ihren reach bezahlen. Das ist Realität.
Aber für diejenigen, die sich wie ich von den Grundsätzen des Cluetrain Manifest geleitet fühlen, gibt es auch eine gute Nachricht: Marketing ist so viel mehr als nur Promotion (denken sie an die 4 P´s). Auch wenn eine Social-Media Werbestrategie inzwischen die gelebte Realität geworden ist, besteht noch immer die Möglichkeit auch eine echte „social business“ Strategie im Unternehmen auszuformen, die dem echten Dialog zwischen echten Menschen gewidmet ist.
Unsere sozialen Netzwerke sind nach wie vor eine wahre Fundgrube für Customer Insights, also eine unverfälschte Sicht auf Feedback und die Bedürfnisse der Kunden und Konsumenten der Produkte unseres Unternehmens. Es gibt eigentlich keinen Grund, warum Unternehmen soziale Medien nicht doch als einen Weg ansehen können, ihr business zu transformieren – das business as usual zu beenden – während halt auch Werbung beinhaltet ist.
Aus dem Englischen.
Autor: Mike Proulx. Published on April 02, 2015.