Die Inspirationsmaschine

Ich bin kürzlich von einem Softwarehaus zu einer Mischung aus Open Space & World Café eingeladen worden. Die Aussicht aus dem 16. Stock des Saturn Tower auf der Donauplatte war sensationell. In moderierten Gruppen tauschten sich dort knapp 40 Teilnehmer*innen aus unterschiedlichsten Unternehmen über den geschäftlichen Einsatz von Künstlicher Intelligenz aus. Was unter dem Strich übrig blieb, war aber vor allem eines: Jeder redete von etwas anderem. Jede hatte andere Vorstellungen von dem, was generative KI eigentlich ist.

So hatte etwa die Dame aus dem Versicherungswesen eine eher deterministische Erwartung mit exakten und reproduzierbaren Ergebnissen aus einer jeweils gegebenen Fragestellung. Was wiederum der Experte für generative KI mit dem Hinweis auf das dahinter liegende heuristische Sprachmodell stark relativierte. Es komme auch bei gleichem Prompt nicht immer dasselbe Ergebnis heraus, da es sehr stark vom jeweils gesetzten Kontext abhängig ist.

Daher gibt es inzwischen mit dem „Prompt Engineering“ sogar ein eigenes Berufsfeld, das sich der Optimierung zwischen der Aufgabenstellung und dem Ergebnis widmet. Etwa mit mehreren, hintereinander gesetzten Prompts, die den Kontext so stark einengen, dass dann aus ChatGPT oder Copilot wirklich verblüffend gute Ergebnisse zu ziehen sind.   

Macht man das nicht, ist man auch schnell vom Ergebnis enttäuscht. Wie etwa der ORF Redakteur, der mir noch in Erinnerung blieb, als er kurz nach dem KI-Urknall von ChatGPT Ende November 2022 der Maschine die Frage nach dem Sinn des Lebens stellte. Dass die Antwort nicht „42“ war, ist nur dem mangelnden Humor des Automaten geschuldet. Und dann setzte er noch mit „Was ist die perfekte Ernährung?“ nach.  

Der fundamentale Fehler dabei ist, generative KI wie ChatGPT, Copilot oder Genesis als eine Art ultimative Wissensmaschine oder perfekte Suchmaschine zu sehen. Das sind sie jedoch nicht. Die Sprachmodelle produzieren völlig plausible Texte, aber keine wahren Aussagen, da sie nicht beurteilen können, was wahr ist und was nicht. Sie „wissen“ ja nichts von dem, was sie Zeichen für Zeichen auf den Bildschirm bringen.  

Sie sind allerdings hervorragende Inspirationsmaschinen.

„Fast magisch anmutende Kräfte…“ (Dall-E)

So helfen sie mir etwa beim klassischen „Leere Seite“ Problem. Um schnell zu einem ersten Entwurf zu einem Thema zu kommen, um mir Ideen für ein passendes Bild vorschlagen zu lassen, um aus einem langen Text eine kurze Zusammenfassung zu machen oder mir daraus einen PowerPoint Foliensatz erstellen zu lassen. All das funktioniert erstaunlich gut und schnell. Heißt das aber auch, dass ich dem Ergebnis zu 100% vertrauen kann?

Eher nicht. Dazu ein Vergleich. Kennen Sie die „goldene Regel“, die Anwälte an der juristischen Fakultät lernen? Sie lautet, dass man bei einem Kreuzverhör eines Zeugen niemals eine Frage stellen sollte, auf die man die Antwort nicht bereits kennt. Diese Regel gilt sinngemäß auch für ChatGPT & Co., die gerne auch mal mit Antworten aufwarten, die plausibel klingen, aber in Wirklichkeit Unsinn sind. Man sollte daher immer das Fachwissen und die Bereitschaft haben, zu überprüfen, ob eine KI generierte Antwort auch richtig ist.

Wenn man diese goldene Regel befolgt, kann KI im geschäftlichen Alltag ein wirklich guter Assistent sein. Ein Copilot. Aber im Pilotensessel bleibt immer noch der Mensch. Der im Sinne des digitalen Humanismus nicht etwa ersetzt, sondern mit fast magisch anmutenden Kräften unterstützt wird.

Aber noch hat sich der Staub nach dem Urknall von ChatGPT nicht gelegt. Es gibt zur Zeit viel an Einordnung, Experimentieren, viel Unfertiges und steile Lern- und Erfahrungskurven damit.

Unrealistische Erwartungen an die noch junge Technologie führen dabei zwangsläufig zu Enttäuschungen.

Besser ist es daher, sich selbst und seiner Organisation den notwendigen Raum zu geben, für das Ausprobieren, Try & Error, sich über erstaunlich gute Ergebnisse zu freuen und auch dem Grund für unerwartete Resultate auf den Grund zu gehen und als Individuum wie auch als Team darauf aufbauende Lernerfahrungen zu sammeln. Es ist ein Weg, der noch nicht gegangen wurde – was aber die Beschäftigung damit auch so besonders spannend macht.

[Erstveröffentlichung dieses Artikels im trend. Mind-Newsletter 02-2024, 22.5.2024]


Hinterlasse einen Kommentar