KI aus der Mitte

Das was wir derzeit mit KI erleben hat historische Vorbilder. Es passiert nicht so oft, dass eine Technologie wirklich disruptive Wirkung auf Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und einfach alles hat. Aber es passiert. Und immer wurden dabei anfänglich die kurzfristigen Effekte eher überschätzt und die langfristigen Effekte dramatisch unterschätzt. Aber was bleibt, wenn sich mal der Staub des ChatGPT Urknalls gelegt hat?

Ich nehme jetzt mal nur Beispiele, die ich auch selbst erlebt habe und die mich allesamt auch beruflich stark beschäftigt haben:

  1. Der PC, der Anfang der 80er Jahre von vielen eher belächelt wurde. Insbesondere von IBM, die damals eine wirklich große Nummer waren. Und sich von Bill Gates mit seiner damals ebenfalls belächelten Vision „A PC on every desk“ das Betriebssystem als Softwarelizenz verkaufen ließen. Was gleichzeitig auch die Erfindung und Geburtsstunde der Softwareindustrie war. Der Rest ist Geschichte. Ist aber auch nicht unbedingt der Punkt, den ich machen möchte. Der Punkt ist, dass der PC letztlich die gesamte Arbeitswelt umkrempelte und heute wie das 1×1 oder das Alphabet zur Grundkompetenz für modernes Arbeiten zählt.
  2. Das Internet, das Mitte der 90er Jahre aufkam. Anfangs wurde noch versucht, die Leute in Schrebergarten Portalen wie AOL oder MSN einzuhegen. Aber das WWW, das wilde, weite Internet war dafür zu unbändig und brach schnell aus diesen künstlichen Grenzen aus. Was ich – aus heutiger Sicht – besonders lustig finde: So gut wie jeder Verlag kam damals mit „Internet Guides“ heraus, die die coolsten Internetadressen für bestimmte Themen beinhalteten. Aber das war auch noch bevor Google mit seiner Suchmaschine herauskam. Die änderte dann wirklich alles, nicht nur die Werbeindustrie.
  3. Social Media, die etwa 10 Jahre später anfangs noch eher kleinspurig daher kamen. Facebook gab es etwa nur auf Einladung und zu den bereits bekannten „Blogs“ gesellte sich mit Twitter das „Micro-Blogging“ für jedermann. Die Revolution dabei war, dass nun jede*r vom reinen Konsumenten auch sehr leicht zum Produzenten von digitalen Inhalten werden konnte. Das änderte wiederum sehr viel. Vor allem für die, die bis dahin das Monopol für das Verbreiten von Nachrichten hatten – die Medien und die Journalisten als Gatekeeper dafür.
  4. Das Smartphone, wie wir es heute kennen, nahm alles vorherige auf: den PC, das Internet, Social Media und gab den Faktor Mobilität und eine sehr einfache Handhabung dazu. Die Wischtechnik des iPhones, das 2007 von Apple auf den Markt kam, machte die digitale Technologie der vorherigen 20 Jahre einer breiten Masse zugänglich und man spricht bis heute vom sogenannten „iPhone Moment“, als Steve Jobs das Teil auf der Bühne in die Kameras hielt und die nachfolgende Demo die Welt ins Staunen brachte. Und mit dem App-Store dazu ein Geschäftsmodell begründete, das bis heute ein Eckpfeiler des Apple Aktienkurses ist.
  5. Generative AI stelle ich als Punkt 5 in diese Reihe. Der Moment als OpenAI Ende November 2022 sein ChatGPT in die Welt warf – und das Echo desselbigen so enorm war, dass in wenigen Wochen mehr als 100 Millionen Menschen diese fast magisch anmutende Synthese zwischen Sprache und Supercomputer ausprobieren wollten. Bis zum heutigen Tag ist das Thema KI allgegenwärtig und in der IT-Welt wird derzeit nur davon gesprochen. Jede Woche mehr Breaking News dazu, als man überhaupt verdauen kann und eine rasante Entwicklung, die einem den Atem raubt.

Wir sind am Anfang des Anfangs.

Bei jeder dieser großen technologischen Innovationen dachte man ein paar Jahre nach der Einführung, dass man es im Großen und Ganzen verstanden hat, die Potentiale dahinter, die Möglichkeiten für Markt und Monetarisierung und die zu erwartenden Veränderungen auf die Wirtschaft, Gesellschaft und das politische System. Und jedes mal war dem nicht so. Eher so wie beim Bergwandern, wo nach steilem Aufstieg nicht der Gipfel sondern nur der Blick auf die nächste Höhe frei wird.

Die Chance dabei ist, dass wir nun die Phase des Ausprobierens und Experimentierens zulassen, die uns den weiteren Blick auf das unentdeckte Land ermöglicht, das vor uns liegt. Und gleichzeitig zu verstehen, dass wir bereits mitten drin sind, dass KI bereits jetzt unsichtbar in vielen Services wie Amazon, Spotify, Instagram, Tik-Tok etc. auf uns persönlich zugeschnittene Musiklisten, Einkaufsvorschläge oder Videos auf den Schirm bringt. Und dass es damit durch generative KI a´la ChatGPT der großen Anbieter wie auch den zunehmend vielen, spezialisierten lokalen Lösungen wie etwa dem CompanyGPT des heimischen Anbieters 506.ai in einer neuen Qualität des Dialogs zwischen Mensch und Maschine rasant weiter gehen wird.

Dazu eine Anekdote, die zeitlich zum oben erwähnten Punkt 2 der Aufzählung (Internet) passt und die ich selbst in meinen ersten Jahren bei Microsoft erlebt habe. Es war im Jahr 1996, ein Jahr nach der Einführung von Windows 95 und dem Internet Explorer, der für eine breite Masse an Konsumenten zum persönlichen Tor zum Internet wurde. Und weil das Internet auch im Lösungsbereich als „strategisch“ angesehen wurde, gründete man gleich auch eine eigene Hauptabteilung dafür, die „ICU“, die Internet Customer Unit. Also das Internet als Verkaufshit, als programmierbare Zusatzfunktion. Erst ein paar Jahre später erkannte man den ubiquitären Charakter des Internet, dass es einfach überall und in jedem Produkt und in jedem Service als eine Megafunktion enthalten sein muss – und schaffte die ICU so schnell ab, wie sie gegründet wurde.

Diesen Fehler macht der Konzern heute mit KI nicht. Es gibt keine eigene monolithische KI Vertriebsabteilung bei Microsoft, kein eigenes KI Produkt. KI ist über die sogenannten „Copiloten“ als zuschaltbare Instanz einfach überall und in jedem Produkt enthalten. Und das Tolle dabei ist, dass hier das mächtige Sprachmodell auf die eigenen Daten bzw. die Daten der Organisation zugreift und man hier damit Ergebnisse bekommt, die sehr relevant für die eigene Arbeit sind. Etwa die Zusammenfassung aus einem Teams Meeting, ein automatischer Entwurf für einen Kundenbrief und ähnliches. Die Daten bleiben dabei immer im geschützten Unternehmensbereich. Man arbeitet in einer eigenen privaten Instanz der ChatGPT ähnlichen KI, wie etwa auch mit dem oben erwähnten CompanyGPT von 506.ai.

Bleibt die Frage offen, wie man sich als Unternehmen bestmöglich das Wissen erschließt, wie KI die eigenen Ziele unterstützen kann, wie man auf die für die eigene Organisation relevanten Use-Cases kommt, wie KI in eine möglichst effiziente Anwendung kommt. Eine eigene KI Abteilung empfehle ich dazu nicht.

Ein besserer Ansatz dazu ist, die eigenen AI Champions zu finden, zu entwickeln und im eigenen System wirksam werden zu lassen. Das kann ein Tech Evangelist aus der Technologieecke sein, oder ein Abteilungsleiter, der mit AI sein Geschäftsfeld transformieren möchte. Oft ist auch die Unternehmenskommunikation die Speerspitze für den professionellen Umgang mit ChatGPT & Co. Umso komplexer die Aufgaben und Prozesse einer Organisation sind, je unterschiedlicher die Arbeitsweisen und persönlichen Präferenzen dabei sind, umso mehr Diversität wird auch bei den AI Champions zu finden sein.

Gruppe von drei Menschen. Einer in der Mitte hat AI am Rücken seines T-Shirts stehen.
AI ist am besten aus der Mitte heraus in die Organisation zu bringen (Bild: Unsplash.com)

Hier ein Vorschlag, wie man das machen kann:

  1. Lassen sie von ihren Managern, je einen „Power User“ im Team identifizieren, der interne Schulungen leiten und den Austausch von Erkenntnissen und Techniken fördert.
  2. Schaffen Sie Anreize für Innovation, in dem Sie Ihre Mitarbeiter*innen bitten, kreative KI-Lösungen zur Automatisierung oder Verbesserung aktueller Prozesse zu entwickeln. Die Belohnung der wirkungsvollsten Beiträge kann das Engagement und die Akzeptanz deutlich steigern.
  3. Erstellen Sie ein Forum, in dem Mitarbeiter*innen ihre überzeugendsten KI Prompts vorstellen können, um eine Kultur der gemeinsamen Entdeckung und Inspiration zu fördern.

Über allem sollte der Gedanke stehen, wie KI in den unterschiedlichen Szenarien und Arbeitsprozessen die tägliche Arbeit unterstützen kann, die Lösungsansätze dazu regelmäßig auszutauschen und andere dabei zu inspirieren, das Potential für sich selbst zu erschließen.

Der Ansatz ist daher weniger zentral als vielmehr de-zentral zu wählen. Sozusagen „aus der Mitte“ heraus. Damit schaffen Sie die Möglichkeit, dass sich Arbeitsproduktivität aus dem eigenen Bereich heraus entwickelt. Etwa als Zeitersparnis bei der Erledigung von Standardaufgaben. Da reichen schon durchschnittlich 30 Minuten pro Tag, die sich der Einzelne beim Vorbereiten eines Foliensatzes spart, um über alles gesehen die Gesamtproduktivität einer Organisation signifikant zu steigern.

Generative KI ist nun in der Welt und entwickelt tausend verschiedene Gesichter. Tausend verschiedene Anwendungsmöglichkeiten. Es ist nicht angetreten, um Menschen in ihrer Arbeit zu ersetzen. Es ist vielmehr als ein sehr kompetenter Assistent anzusehen, der dabei helfen kann, die eigenen Aufgaben schneller und effizienter zu erledigen. Etwa als kompetente Hilfe bei der Recherche, für einen ersten Entwurf eines Textes oder eines Vorschlags für ein passendes Bild. Sich damit sowohl als Einzelne(r) als auch als Organisation zu beschäftigen ist ein Gebot der Stunde. Alleine schon aus Wettbewerbsgründen, denn man kann davon ausgehen, dass es die anderen auch bereits machen.

Dazu gibt es nicht den „einen“ Weg, den man als Organisation gehen kann; es ist mehr als eine Lernreise a la „betreutes Lernen“ zu verstehen, bei der es darum geht, die Potentiale dieser disruptiven Technologie auf einer individuellen Ebene heben zu können. Daher ist es besser „aus der Mitte“ zu entwickeln, im jeweiligen Team als eine neue Art und Weise des Arbeitens zu etablieren und damit die eigene – ganz persönliche – Innovation am Arbeitsplatz zu ermöglichen.


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